Verschwörungstheorien – wie können wir sensibel damit umgehen?
Fast jeder von uns ist im Internet schon mal einer Verschwörungstheorie, oder einer Verschwörungserzählung begegnet.
Gerade im deutschsprachlichen wir hierbei oft drüber diskutiert, dass der Begriff “Theorie” unzutreffend ist und man eher von Verschwörungserzählung, Verschwörungsmyten oder Verschwörungsideologie sprechen sollte (Pfahl-Traughber). Dabei wird international weiterhin der Begriff “conspiracy theory” verwendet.
Gerade Kinder und Jugendliche haben oft noch nicht den Überblick über die Welt, um Geschichten, die sie hören und sehen, auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Die große Problematik bei den Verschwörungserzählungen ist dabei, dass diese oft schwer zu wiederlegen sind, da die Wiederlegung oft im Narrativ der Erzählung diese selbst bestärkt.
Was können wir nun machen, um unsere Kinder und Jugendlichen dafür zu sensibilisieren und kritisch mit Informationen aus dem Internet umzugehen?
Hier findet ihr von der Bayerischen Zentrale für neue Medien Infos über Verschwörungserzählungen.
Wie funktionieren Verschwörungstheorien?
Es gibt drei Hauptpunkte, die in jeder Verschwörungstheorie vorkommen
- Cui Bono? – Wer profitiert davon?
- Alles ist verbunden – verschiedene große Player sind im geheimen miteinander verbunden
- Es gibt keinen Zufall – alles was passiert folgt einem großen Plan um…
Diese drei Aspekte sind die Grundlagen einer Verschwörungstheorie. In der Regel ist auch noch klar, dass es geheime Machenschaften von großen Eliten sind, die die Welt nach ihrem Wunsch formen wollen.
Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?
Wir leben in einer globalisierten Welt. Wir bekommen schon seit Jahrzehnten durch diese Vernetzheit nahezu ohne Verzögerung mit, was am anderen Ende der Welt passiert. Damit ist aber auch die Komplexität für uns gestiegen. Es ist sehr viel komplexer und anstrengender mit dieser Flut an Informationen umzugehen.
In diesem Wirrwar an Informationen, meistens auch schlimmen Nachrichten, wünschen sich Menschen oft Vereinfachung, Sicherheit und Sinn.
Die Hauptpunkte, warum Menschen an Veschwörungstheorien glauben sind:
- Sie geben Sinn und ein Erklärungsangebot – in einer immer komplexeren Welt schafft das Sicherheit
- Handlungsfähigkeit – Wenn ich die dunklen Machenschaften “erkannt” habe, dann kann ich etwas dagegen machen
- Selbstaufwertung – Ich gehöre zu einem kleinen Teil an, der die “Wahrheit” gefunden hat, ich bin besonders
- Glauben durch Wiederholung – je tiefer ich in den “Kaninchenbau” gehe, desto mehr glaube ich an die Theorie, sie wird zu meinem Weltbild
- Optimistische Komponente – Daran zu glauben schafft Hoffnung; Ich kann noch etwas gegen das “Böse” tun.
Warum glauben Jugendliche an Verschwörungserzählungen?
Kinder und Jugendliche können aufgrund ihrer noch nicht ausreichenden Lebenserfahrung und ihren Zwangs-Kontexten oft überfordert sein und erleben ein Ohnmachtsgefühl aufgrund der Vielzahl an Informationen.
Das kann erhöht sein, wenn sie sich selbst in individuellen und strukturellen Krisenlagen befinden.
Sie sind oft noch in Abhängigkeitsverhältnissen zu anderen Personen, die vielleicht selbst an Verschwörungserzählungen glauben, und diese dem Jugendlichen als Weltsicht weitergeben.
Viele Jugendliche nutzen verschiedene Medienformate intensiv und haben oft nicht den Weitblick oder die Fähigkeiten andere Blickwinkel einzunehmen.
Dennoch besteht die Tendenz, dass Kinder und Jugendliche zu weniger Verschwörungsglauben tendieren als Erwachsene.
Wie kann man gegen Verschwörungsen vorgehen?
Prävention
Wir können das individuelle Kontrollgefühl stärken, indem wir unsere Kinder und Jugendlichen zu selbstwirksamen Individuuen erziehen.
Dies ist ja schon Teil unseres Menschen- und Weltbildes und Ziel unserer Erziehung.
Indem wir die Analysefähigkeit und Sensibilität für dieses Thema und auch allgemein bei unseren Grüpplingen stärken schaffen wir wenig Anknüpfungspunkte für Verschwörungen. Denn ein kritischer und wachsamer Verstand lässt sich nicht so leicht täuschen.
Der wichtigste Aspekt ist jedoch der Glaube an die persönliche Handlungsfähigkeit. Wenn wir uns nicht als Spielball von großen Akteuren sehen müssen sondern selbstwirksam und eigenständig durch die Welt gehen und uns als Erschaffende und Selbstwirksame Wesen begreifen, haben Verschwörungserzählungen wenig Boden um zu wachsen.
Hier ist unsere Erziehung zum starken Individuum ein wichtiges Gegengift zu Verwörungen.
Debunking
Indem wir unseren Kindern und Jugendlichen Wissen über und zu den Verschwörungen aufzeigen, können diese besser auf die Vielfalt an irreführenden Inhalten im Netz vorbereitet werden.
Ein wichtiger Punkt beim Debunking ist das Wiederlegen und Berichtigen von Verschwörungserzählungen. So kann durch Fakten und Wissen die Grundlage zum auflösen der Erzählung gelegt werden.
Pre-Bunking
Ein weiterer Wichtiger Aspekt setzt noch weiter vorne an. Kinder und Jugendliche sollten verstehen, dass eine Gefahr von Verschwörungserzählungen ausgeht. Das unreflektierte weitererzählen von falschen Tatsachen ist eine Gefahr für die Demokratie und die Gesellschaft.
Ein weiterer wichtiger Schritt im Pre-Bunking ist den Kindern und Jugendlichen die Wirkmechanismen von Verschwörungserzählungen klar und verständlich zu machen.
Tipps für den Umgang mit Verschwörungsgläubigen
- Bestimme Ziele
- Angebote machen – Bedürfnisse verstehen – Hilfsangebote machen
- Persönliches Gespräch auf Augenhöhe führen
- Geeigneten Gesprächsrahmen wählen
- Eigene Grenzen Wahrnehmen
- Unterstützung suchen
- Beratungsstellen wie Veritas: https://veritas-beratung.de/
- Vorsicht mit Fakten
- Fragen statt sagen
Methode: Bau deine eigene Verschwörung – und verstehe die Wirkmechanismen
Aufgabe:
- Nutze den Verschwörungsgenerator und erstelle deine eigene Theorie!
- Überlege
- Was könnte an deiner Theorie dran sein?
- Wer könnte davon profitieren?
- Und wie haben Sie es angestellt?
- Geht in 2-3er Gruppen zusammen. Überzeuge die anderen von deiner Theorie.
Der Verschwörungsgenerator
1. Wer steckt dahinter?
Hier kannst du das Rad drehen und dir eines per Zufall bestimmen lassen: https://wheelofnames.com/de/mm2-p87
- Die Kirche
- Die Industrie
- Die Lügenpresse
- Die Mafia
- Die Systemmedien
- Die Regierung
- Die Pharmalobby
- Ärzte
- Lehrkräfte
- …
2. Was machen die?
Hier kannst du das Rad drehen und dir eines per Zufall bestimmen lassen: https://wheelofnames.com/de/5md-wb9
- klont
- hackt
- vertuscht
- fälscht
- löscht
- überwacht
- manipuliert
- erfindet
- zensiert
- infiziert
- verbietet
- kontrolliert
- steuert
- infiltriert
- checkt
- …
3. Mit wem machen die das?
Hier kannst du das Rad drehen und dir eines per Zufall bestimmen lassen: https://wheelofnames.com/de/srr-wen
- Deinen Insta-Feed
- Deine Spotify-Playlist
- Dein Smartphone
- Deine Gesundheit
- Deine Familie
- Dein WLAN
- Dein Netflix
- Deine Nachbarn
- Deinen Einkauf
- Xavier Naidoo
- Heidi Klumm
- Dem Wendler
- Influencer*innen
- Deine Whatsapp-Nachrichten
- Deine Kollegen
- …
Methode: Qui Bono
Verschwörungserzählungen stellen zu Beginn oft die Frage: “Wem nutzt es?”
Um zu erkennen, dass diese Frage eigentlich fast immer auch beantwortet werden kann, hilft diese Methode. Wenn man nach einem Sinn sucht, wird man früher oder Später einen finden.
Unser Gehirn mag es, wenn unklare und unüberschaubare Aspekte, Zusammenhänge oder Dinge “Sinn ergeben” Also sucht es so lange, bis es einen Sinn erkennen kann. Dieser muss dann nicht unbedingt “richtig” sein, oder eine komplexe Welt korrekt abbilden, sondern es reicht, wenn wir das Gefühl haben, dass es Sinn ergibt.
Um diesem Phänomen etwas spielerisch auf den Grund zu gehen hilft die Methode “Qui Bono”.
1. Finde ein alltägliches Problem
Geht in Kleingruppen zusammen und überlegt euch alltägliche Probleme die ihr habt. (z.B. Ich stehe immer an der falschen Supermarkt-Kasse).
Sprecht darüber, was hier das Problem ist und redet euch auch gern etwas in rage (zum Spaß) was dies für ein großes Problem ist.
2. Überlegt, wer davon profitieren könnte
Nun redet darüber wer wohl davon profitieren könnte, dass ihr dieses Problem habt. Wer könnte einen Vorteil davon haben, dass ihr genau dieses Problem habt. (z.B. Die Süßigkeitenindustrie, weil ich so lange an der Kasse anstehen muss, oder die Hersteller von Kassenbandtrennern, etc.).
Seid kreativ und denkt auch gerne groß! Je ungreifbarer eine Gruppe an Menschen oder Eliten ist, desto besser ist die Verschwörungserzählung!
Versucht eine Logik in eurer Verschwörung zu bauen und lasst diese lückenlos, sodass niemand die Erzählung wiederlegen kann.
3. Präsentiert eure Verschwörungserzählung
Geht in die Großgruppe zusammen und präsentiert eure Verschwörungserzählung. Verucht die anderen von eurer Logik zu überzeugen.
4. Sprecht darüber was gerade passiert ist
Blickt zurück was ihr für tolle Erzählungen geschaffen habt, und wie ihr es geschafft habt Logik-Löcher zu stopfen.
- Wie ging es dir, als du diese Erzählung zum ersten Mal gehört hast.
- Hättest du sie geglaubt?
- Was hast du gemacht, damit die anderen sie geglaubt haben?
- Glaubst du, wenn du das jemandem, der nicht mit dabei war, erzählst. Würde diese Person das glauben? Warum?
- Was sind Gefahren von solchen Verschwörungserzählungen?
- Worauf kann man achten, bei Verschwörungserzählungen, damit man sicht so anfällig für diese ist?
Quellen:
- Vortrag: Medienpädagogische Arbeit zu Verschwörungstheorien – Medienzentrum Parabol 08.05.2023 – Ulrike Biella
- Amadeu Antonio Stiftung. (2015) No World Order: Wie antisemitische Verschwörungsideologien die Welt verklären. Amadeu Antonio Stiftung. www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/verschwoerungen-internet.pdf.
- Anton,A. (201 1) Unwirkliche Wirklichkeiten: Zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien
- Anton, Andreas et al. (Hg.) (2014) Konspiration: Soziologie des Verschwörungsdenkens. Springer
- Butter, M. und Knight, P. (Hg.) (2020) The Routledge Handbook of Conspiracy Theories. Routledge.
- Butter, M. (2018) »Nichts ist, wie es scheint“ Über Verschwörungstheorien, Suhrkamp.
- Harder, B. (2018) Verschwörungstheorien: Ursachen- Gefahren -Strategien. Alibri.
- Hepfer, K. (2015) Verschwörungstheorien: Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Transcript.
- Uscinski, J. (2018) (Hg.) Conspiracy Theories and the People Who Believe Them. Oxford University
- Press. van Prooijen, J-WV. (2018) The Psychology of Conspiracy Theories. Routledge.
- Zick,A, Küpper B. (Hg.) Die geforderte Mitte: Rechtsextreme und demokratigefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/2
Überblick zur Medienpädagogik in der DPSG
Kinder – Jugend – Medien – Was sagen Studien?
Aktive Medienarbeit im Verband – Was müssen wir dafür machen?
Medienpädagogische Fachstellen für unsere Jugendarbeit – dort könnt ihr euch hinwenden!
Projektangebote von Julian für deine Gruppe
Medien-Themen für Jugendleitende
- Datenschutz + Bildrechte
- Hate-Speech
- Fake-News
- Verschwörungstheorien
- Social-Media + Gesundheit
- Social-Media Algorithmen + und meine Freiheit
- Mediennutzung + Digitale Abhängigkeit
- Cyber-Mobbing
- folgenswerte Social-Media-Kanäle